von Ralph Trost
Inhalt
Der kleine Friedhof
Bunker am Sandstrand
HMCS Weyburn
Die U-Boot-Plage
Das Minenfeld bei Tanger
Seemannsgräber
An der äußersten Spitze Europas, im spanischen Andalusien, erholen sich alljährlich Millionen Touristen an der Costa de La Luz und der Costa del Sol. Viele der ausländischen Besucher kommen aus Großbritannien und Deutschland. Einträchtig liegen sie mit den einheimischen Sommerurlaubern an den weiten Stränden nebeneinander, baden, tauchen oder genießen die Sonne. Der Blick aufs Meer ist weit. Um Tarifa herum, wo Atlantik und Mittelmeer aufeinandertreffen, kann man bei guter Sicht sogar deutlich Afrika erkennen. Seit immer mehr Menschen von dort versuchen, ihrer Not durch die lebensgefährliche Überfahrt nach Europa zu entkommen, sind Flüchtlingsboote zum Alltag geworden an dieser Außengrenze der Europäischen Union. Die Distanz zwischen den beiden Kontinenten scheint so gering zu sein. Doch in Wirklichkeit ist das eine trügerische Illusion, denn die See kennt kein Erbarmen gegenüber denen, die ihr hilflos ausgesetzt sind. Heute, wie in den Jahrhunderten zuvor.
Der kleine Friedhof
Zahara de los Atunes ist ein kleines Fischerdorf am Atlantik mit etwa 1.200 Einwohnern. Einige von ihnen sind Ausländer, die ihren Lebensabend dort verbringen. Außerhalb der Saison vermittelt das Dorf eine angenehme Trägheit und Ruhe, wie so viele Dörfer Andalusiens. Im Sommer dann quillt der Ort über mit spanischen, deutschen, französischen und anderen Touristen. Sie sind, neben dem Thunfischfang, die Haupteinnahmequelle für die Menschen dort. Sonne, Strand, Hotels, Restaurants, Bars, Touristenshops, ein Kunstgewerbemarkt, Zahara bietet wie so viele andere Touristenzentren Andalusiens seinen Besuchern ein vielseitiges Freizeitangebot. Wohl auch so umfangreich, dass der individuelle Charakter des Dorfes von den allermeisten Touristen nicht erkannt wird.
God alone knows how we miss you. You loving wife Ellen and your son Anthony
Grabinschrift Joseph Collins
Mitten in Zahara de los Atunes liegt heute der größte Supermarkt des Dorfes. Die Einheimischen und wohl auch jeder Tourist im Ort gehen dort einkaufen. Die allermeisten der Besucher beachten aber den unmittelbar daneben liegenden Friedhof nicht. Der Tod passt nicht in die entspannte Urlaubsstimmung. Umgeben von einer weißen Mauer betritt man ihn durch ein kleines Tor. Innen verlaufen mehrere Gassen, an denen rechts und links in den Gräbernischen die Toten bestattet sind. An einer Stelle wird mit einem Kreuz den Gefallenen des Spanischen Bürgerkrieges (1936-1939) gedacht, ohne aber dabei Partei für eine Seite einzunehmen.
In der mittleren Gasse, die von den Rückseiten zweier parallel verlaufener Gassen gebildet wird, ist neben einem namenlosen Grab und einer Familiengruft auch die letzte Ruhestätte eines Soldaten des British Commonwealth. „God alone knows how we miss you. You loving wife Ellen and your son Anthony“ steht auf dem weißen Kalkstein. Darauf platziert sind von der Sonne ausgebleichte Plastikblumen. Es ist das einzige Grab eines Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg auf dem kleinen Friedhof. Auch in anderen spanischen Orten liegen alliierte Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Viele davon sind an den Küsten angeschwemmt worden. Aber wie kam dieser Soldat nach Zahara de los Atunes? Was ist seine Geschichte?
Bunker am Sandstrand
Wer an den langen Stränden Andalusiens etwas genauer hinschaut, findet erste Hinweise darauf. In regelmäßigen Abständen sind noch heute die Überreste von Bunkern zu erkennen, die offenbar dazu angelegt worden waren, die spanische Küste zu befestigen. Denn Spanien war alles andere als „neutral“ im Zweiten Weltkrieg. Die Bunker sollten vor allem sichern, dass die Briten und später auch die Amerikaner das europäische Festland nicht von Spanien aus vom Faschismus befreien konnten. Außerdem sollte durch ein umfangreiches Befestigungssystem die Fahrt alliierter Schiffe zwischen Mittelmeer und Atlantik durch die Straße von Gibraltar, das sich auch damals in britischer Hand befand, gestört wenn nicht sogar unterbunden werden.
Dieses Befestigungssystem an der andalusischen Küste, das sich zwischen Atlantik und Mittelmeer zog, wurde noch im Spanischen Bürgerkrieg begonnen und konnte bis 1942 in Betrieb genommen werden. Die dortigen Bunker waren aus Stahlbeton gebaut worden, hatten Schießscharten, wurden durch die umliegende Vegetation gut getarnt und teilweise auch durch Panzersperren aus Beton gesichert. Ausgerüstet waren sie zumeist mit Maschinengewehren, offenbar aber auch mit schwereren Waffen wie Panzerabwehrkanonen. Der Bunkerbau zog sich am Atlantik hoch bis in Höhe von Conil.
Durch das Bunkersystem ging eine große Gefahr für die britischen Schiffe aus, die zwischen Gibraltar und Großbritannien fuhren, sich Konvois über den Atlantik nach Amerika anschlossen oder Truppen und Waffen zur afrikanischen Küste transportierten, um dort die Italiener und Deutschen zu bekämpfen. Immer wieder kam es zu Angriffen auf alliierte Schiffe durch Seeminen, deutsche U-Boote, Flieger oder durch die Kanonen und Maschinengewehre an der spanischen Küste. Und immer wieder kamen dabei britische, kanadische und andere Seeleute ums Leben.
HMCS Weyburn
His Majesty’s Canadian Ship Weyburn gehörte zu einer Reihe Korvetten, die vor allem für die Jagd auf feindliche Unterseeboote und den Schutz von Geleitzügen eingesetzt wurden. In Großbritannien erhielten sie ihre Schiffsnamen nach Burgen und Blumen, weswegen sie auch „Flower-Class“-Korvetten“ heißen, in Kanada sind nach Städten benannt. Ausgerüstet waren sie mit Geschützen, Maschinengewehren und Wasserbomben. Bis zu 90 Mann taten auf jedem der Schiffe Dienst.
Die HMCS Weyburn war am 26. Juli 1941 bei der Port Arthur Shipbuilding Company im kanadischen Ontario vom Stapel gelaufen und am 26. November 1941 in den Dienst gestellt worden. Zunächst sicherte sie Konvois am Sankt-Lorenz-Golf vor Kanada. Für den Einsatz bei der Operation Torch, der alliierten Landung in Nordafrika im November 1942, wurde sie in Liverpool zunächst ausgerüstet und sicherte dann Konvois zwischen dem Mittelmeer und Großbritannien.
Joseph Collins, Dienstnummer P/JX182689, geboren am 3. März 1918, lebte in Milnsbridge, einem Stadtteil von Huddersfield im britischen West Yorkshire. Seine Frau Ellen Margaret, die aus London nach Huddersfield evakuiert worden war, erwartete ihr gemeinsames Baby. Als Able Seaman führte Collins den drittniedrigsten Dienstgrad in der Royal Navy, hatte aber schon einiges auf See erlebt. Er gehörte zu den Überlebenden der HMS Camito, einem zum Hilfskreuzer im Dienst der Royal Navy umgebauten ehemaligen Handelsschiff, das am 6. Mai 1941 südwestlich von Irland gemeinsam mit einem von den Briten erbeuteten italienischen Tanker vom deutschen Unterseeboot U 97 versenkt worden war. Seit dem 18. Februar 1943 tat Collins Dienst auf der kanadischen HMCS Weyburn.
Die „U-Bootplage“
Der europäische Kontinent war nach der Einnahme Frankreichs und den Operationen der Achsenmächte und ihrer Verbündeten in Ost- und Südosteuropa unter Kontrolle der Deutschen und Italiener. Nur Großbritannien war frei und diente als Stützpunkt für eine zukünftige Offensive der Alliierten auf das europäische Festland. Nur dort war der Faschismus zu besiegen. Doch Großbritannien befand sich in einer schwierigen Situation, denn das Land war von der Versorgung von außen abhängig und bemühte sich außerdem darum, sein Kolonialreich zusammen zu halten. Gerade dem Schiffsverkehr durch die Meerenge von Gibraltar, vorbei an El Peñón, dem von den Briten seit Jahrhunderten gehaltenen Felsen, kam dabei eine entscheidende Bedeutung zu.
Von allen Plagen war die U-Bootplage die schlimmste
Winston Churchill
Seit November 1942 waren Teile Nordafrikas nach der sogenannten Operation Torch unter alliierter Kontrolle. Doch die Briten und Amerikaner waren noch weit davon entfernt, das europäische Festland anzugreifen. Der Transport von Menschen und Material durch die Straße von Gibraltar war riskant und auch auf dem Atlantik drohte ständig der Angriff durch die Deutschen. „Von allen Plagen war die U-Bootplage die schlimmste“, schrieb Winston Churchill später [Churchill 2010, S. 613]. Deutsche Unterseeboote legten Minen, in die die Konvois fuhren, oder griffen sie direkt an. Und das nicht nur um Europa herum, sondern auch vor dem amerikanischen Kontinent bis vor die Küsten Kanadas.
U-118 war ein im Dezember 1941 in den Dienst genommener deutscher Minenleger. Einmal gelegt, warteten die Seeminen in bis zu 60 Metern Tiefe darauf, dass Schiffe über sie fuhren, um dann zu detonieren. Die Verminung von Häfen und Seeminen vor allem durch Unterseeboote war eine der effektivsten Einsätze der deutschen Marine im Zweiten Weltkrieg. Am 25. Januar 1943 legte U-118 in Brest ab. Es war seine dritte Feindfahrt. In den folgenden über 30 Tagen versorgte es andere U-Boote mit Diesel und Proviant, legte aber auch selbst Seeminen. So am 1. Februar 1943 vor der Straße von Gibraltar, wodurch später mindestens drei Schiffe versenkt werden sollten, eines davon war die Weyburn.
Das Minenfeld bei Tanger
Am 22. Februar 1943 verließ die HMCS Weyburn Gibraltar. Sie war Teil eines von zwei Konvois mit insgesamt etwa 100 Schiffen für den Versorgungstransport zwischen Amerika und Großbritannien. Um 11.15 Uhr schloss sie sich bei Kap Spartel westlich von Tanger Konvoi GUS-4 an. Etwa 4,5 Kilometer vom Konvoi entfernt fuhr sie dann auf das das Minenfeld von U-118.
Die Explosion riss mittschiffs ein Loch in die Backbordseite, die Weyburn lief sofort voll Wasser. Der britische Zerstörer HMS Wivern, seit 1919 im Dienst, gehörte auch zum Konvoi und nahm unmittelbar nach der Explosion Kurs auf die Weyburn, um Matrosen des beschädigten Schiffs aufzunehmen. Gleichzeitig gerieten sie unter ständigen Beschuss der spanischen Küstenbatterien, wurden davon jedoch offenbar nicht getroffen. Die Wivern legte sich parallel neben die Weyburn. Fieberhaft versuchten die Matrosen, die Wasserbomben der Weyburn zu entschärfen, die dazu dienten, U-Boote durch Unterwasserdetonationen zum Auftauchen zu zwingen. Jetzt mussten sie schnellstens entschärft werden, um weiteren Schaden zu verhindern. Doch bei zweien gelang den Matrosen die Entschärfung nicht mehr. Nach etwa zwanzig Minuten sank die Weyburn innerhalb von Sekunden, dabei explodierten die beiden Minen. Viele der noch im Wasser schwimmenden Matrosen sowie andere auf den beiden Schiffen wurden getötet oder verletzt. Darunter auch der Kommandeur der Wivern.
Unter fortwährendem Beschuss vom spanischen Festland aus wurde die Rettungsaktion bis kurz nach 14.00 Uhr fortgesetzt. Die Wivern war stark beschädigt worden, die Rettung der Schiffbrüchigen übernahm nun die HMS Black Swan, das Führungsschiff der Eskorte. Auch durch eine der Minen von U-118 beschädigt worden war der norwegische Tanker Thorsholm. Tote soll es auf dem Schiff aber nicht gegeben haben, es konnte seine Fahrt mit dem Konvoi GUS-4 Richtung New York fortsetzen. Die Black Swan nahm dann die Wivern in Schlepptau und brachte sie nach Gibraltar.
Der Preis, den Kanada für seinen Kampf gegen die Aggressoren aus Deutschland und Italien bezahlte, war hoch. Kanada verlor insgesamt 24 Schiffe im Zweiten Weltkrieg. Zwei davon zwischen Spanien und Afrika: die Korvette HMCS Louisburg am 6. Februar 1943 und die HMCS Weyburn.
Seemannsgräber
Auch U-118 sollte auf dem Meer bleiben. Die deutschen U-Boote waren zum Teil Wochen unterwegs, ohne einen Hafen anzulaufen. Versorgt wurden sie dabei durch andere U-Boote. So belieferte U 118 in den folgenden Monaten nach der Versenkung der Weyburn andere U-Boote im Atlantik mit Lebensmitteln und Benzin. Zu ihrer letzten Fahrt legte sie am 25. Mai 1943 vom deutschen U-Boot-Bunker in Bordeaux ab. Ihr Ziel war die Verminung der Küste vor dem kanadischen Halifax. Die Alliierten erfuhren davon durch entschlüsselte Enigma-Nachrichten der Deutschen. Am 12. Juni 1943 nahmen westlich der Kanarischen Inseln Flugzeuge des amerikanischen Geleitflugzeugträgers USS Bogue U 118 unter Beschuss und versenkten es. 43 der 59 Mann Besatzung gingen mit dem U-Boot unter, darunter auch Korvettenkapitän Werner Czygan. Die Überlebenden kamen in Kriegsgefangenschaft. Einer von ihnen, Werner Drechsler, sollte später von Mithäftlingen ermordet werden, weil er mit den Amerikanern kooperiert hatte. Seine Mörder wurden hingerichtet.
Die genaue Zahl der bei den Minenexplosionen vor der spanischen Küste am 22.Februar 1943 ums Leben gekommenen kanadischen und britischen Matrosen ist nicht ganz klar. Einer von ihnen war Able Seaman Joseph Collins. Seine Leiche soll später bei Zahara de los Atunes angeschwemmt worden sein, doch ist die Quellenlage hier nicht ganz eindeutig. Auf welche Weise auch immer, an die Küste gespült oder von einem Fischerboot gefunden, Collins erhielt in dem kleinen Fischerdorf seine letzte Ruhestätte.
In den Quellen werden zumeist nur die acht kanadischen Toten genannt. Zusammen mit Collins waren es aber auch weitere vier britische Seeleute, die an diesem Tag umkamen. Mindestens einer von ihnen war von der Wivern. Von den insgesamt mindestens zwölf Seeleuten des Untergangs der HMCS Weyburn sowie der Beschädigung der HMS Wivern sind elf auf See geblieben. Nur einer, der 23jährige Joseph Collins, sollte ein Grab an Land bekommen. Sein Sohn Anthony sollte seinen Vater nie kennenlernen, er wurde erst nach dem Untergang der HMCS Weyburn geboren. Später haben er und seine Mutter Ellen das Grab auf dem kleinen Friedhof von Zahara de los Atunes, neben dem größten Supermarkt im Dorf, besucht. „Remember with Honour“ steht auf seinem Grabstein.
Quellen
2007
José Manuel Algarbani Rodríguez: “Los bunkers del estrecho y los prisoneros republicanos”, in: Mancomunidad de Municipios del Campo de Gibraltar (Ed.): Almoraima. Revista de Estudios Campogibraltareños. Número 36 – Abril 2008, Algeciras 2008, S. 451-460
Rafael Aguilar Rodríguez: Zahara de los Atunes. Riqueza patrimonial y moda de vida. 5a edición, Sevilla 2015
Commonwealth War Graves Commission (https://www.cwgc.org/) letzter Aufruf 11.02.2021
W.A.B. Douglas, Roger Sarty, and Michael Whitby: No Higher Purpose : The Official Operational History of the Royal Canadian Navy in the Second World War, 1939-1943, St. Catherines (Canada) 2004Richard Overy: The Second World War. The Complete Illustrated History, London 2010
J. Ángel Sáez Rodríguez: „Die Bunker im Süden Spaniens. Das moderne Verteidigungssystem im Campo de Gibraltar“, in: fortifikation. Fachblatt des Studienkreises für Internationales Festungs-, Militär- und Schutzbauwesen e.V., Ausgabe 28/2014, S, 95-118
Francisco Trujillo Guirola: Historia Propedéutica de Zahara de los Atunes, 3a edición, Roquetas de Mar/Almería 2021